Lioba Reckfort
"Die Zukunft des Sprengelkiez liegt in Afrika", sagt Lioba Reckfort. Wir besuchen sie in ihrer Wohnung in der Sprengelstraße. Im Flur hängen Theaterplakate, bunte Bilder, daneben Collagen aus chinesischen Buchstaben, Ikonen des sozialistischen Realismus und bekannten Superhelden. In einer Ecke, auf einem Sims, sammeln sich Skurrilitäten.





















"In den 15 Jahren, die ich hier jetzt wohne, haben mich viele Menschen besucht, die meisten von ihnen waren Künstler, mit vielen habe ich zusammen gearbeitet, mit allen für kurze Zeit mein Leben geteilt. Mit Menschen aus China, Syrien, Russland oder Kamerun. Ein mexikanischer Streetart-Künstler war dabei, der hat für seine Collagen wiederum Teile eines Bühnenbilds genutzt, die eine chinesische Künstlerin vorher für ihr Theaterstück verwendet und auch hier gelassen hat. So haben alle eine Erinnerung an die paar Wochen, die sie zu Besuch waren, bei mir gelassen. Der Wahnsinn wäre, eine Karte zu zeichnen und alle Wege der Menschen ein zu zeichnen,, die sich hier getroffen und wieder verabschiedet und wieder getroffen haben. Die Sprengelstraße als Knoten-und Ausgangspunkt von Migrationen, Überschneidungen und kreativen Prozessen.
Die meisten Sachen, die ihr hier seht, habe ich aber sozusagen geerbt: Ein kleines Zimmer in meiner Wohnung war bis 2007 verschlossen, wir haben viele Geschichten gesponnen, was sich wohl dahinter verbergen könnte. Vielleicht haben wir es auch deshalb nicht geöffnet. Aber 2007 war es dann soweit, und hinter der Tür war eine kleine Schatzkammer: Vor allem viele Kostüme habe ich dort gefunden, die ich sehr gut für meine Theateraufführungen und Performances gebrauchen kann.
Das Haus, in dem ich wohne, stand bis vor 5 Jahren fast leer, so konnte ich Leute nachholen, Freunde wohnen neben mir und unter mir. Insgesamt wohnen wir mit zehn Freunden zusammen, wir haben den Schlüssel voneinander, wir essen zusammen. Wenn sich hier Leute treffen, dann ist das immer eine Mischung aus Theater und WG. Es ist also immer viel los, open house sozusagen. Wir haben auch einen Verein gegründet: Den Intergalaktischen Kulturverein. Wir wollen alles bündeln, denn intergalaktisch heißt: international, interkulturell, intersozial. Aber alle Ideen und alle Aktionen landen am Ende immer wieder beim Problem mit den Kosten für die Proben. Jetzt denke ich darüber nach, ein Haus zu besetzen, aber es gibt wenig Leerstand. Ein Haus habe ich allerdings schon entdeckt: Neben Gutes Wedding, Schlechtes Wedding wäre ein geeignetes Haus, dessen Dach beginnt, in sich zusammen zu fallen."
Mit ihrer Kollegin Christiane Weigel hat Lioba Reckfort drei Jahre lang die Trionade, ein Festival für Amateurtheater, organisiert. Sie hat Workshops geleitet und auf der Bühne des Atze Musiktheaters im Anschluss aufgeführt. Dort ist sie auch mit Gruppen aus dem Kiez aufgetreten, mit einer türkischen Theatergruppe, mit einer afrikanischen.
Lioba sagt über sich, sie mache Theater: Als Stückschreiberin und Regisseurin. Sie hat Theater an der Humboldt Universität studiert. Ihre Stücke spielen heute oft im Kontext von Migration mit regionalem Schwerpunkt auf Afrika. Im Sprengelkiez hat sie schon mit unterschiedlichsten Partner zusammen gearbeitet, vom Sprengelhaus bis zum Second-Hand-Shop.
"Die meisten Plakate in meiner Wohnung haben auch einen Bezug zum Sprengelkiez, denn auch meine Stücke haben einen lokalen Bezug. Zum Beispiel hier, ein Plakat einer Zeitreise durch den Kiez. Und bei diesem Stück konnte ich einen ganzen Seitenflügel eines Hauses bespielen, die Szenen spielten dort oder auf der Straße. Die Zuschauer haben ein Theaterstück gesehen, wie es dort 1929, 1968 und 1983 hätte stattfinden können."
Mit ihrer Kollegin Christiane Weigel hat Lioba Reckfort drei Jahre lang ein Festival für Amateurtheater organisiert: Die Trionade. Während des Festivals hat sie Workshops geleitet und auf der Bühne des Atze Musiktheaters im Anschluss ihre Stücke aufgeführt. Dort ist sie auch mit Gruppen aus dem Kiez aufgetreten, unter anderem mit einer türkischen und einer afrikanischen Theatergruppe.
"Ich wollte realen Leute in der Nachbarschaft, deshalb bin ich hierher gezogen. Ich unterteile meine 15 Jahre hier in drei Phasen: In Phase eins konnte ich viel erzählen, ein Mord vor der Tür, häufig Polizei. In Phase zwei wurde es dörflicher, ich habe viele Leute kennen gelernt, Nachbarn und Freunde, auch meine erste Kooperationen mit Leuten aus dem Kiez begannen in dieser Phase. Die dritte Phase mache ich daran fest, dass seit etwa fünf Jahren immer mehr Afrikaner hierher ziehen. Seitdem gibt es mehr afrikanische Kulturvereine, größere Gruppen mieten das Sprengelhaus für Events, der Gottesdienst in der Osterkirche ist gut besucht. Auch kann man hier toll afrikanisch essen.
Natürlich hat das auch eine politische Seite. Viele Leute, die hierher kommen, sind politisch engagiert. Ich habe ein Projekt gemacht mit Asylbewerbern aus Kamerun, die sich sehr für einen geregelten Status eingesetzt haben, einige mussten das Land verlassen, einige haben geheiratet, die meisten sind jetzt aber hier und auch wiederum in meiner Theatergruppe.
Ich bin viel in afrikanischen Kulturvereinen unterwegs, ein Freund von mir leitet Trommelkurse im Kamerun e.V. Selber möchte ich eine afrikanische Bühne im Mandé e. V. etablieren. Afrikanische Bühne heißt, alles, was mit Afrika zu tun hat: Themen, Schauspieler oder europäische Klischees."
Einen zweiten regionalen Schwerpunkt hat Lioba in Südamerika. "Ich interessiere mich sehr für Mexikanisches Theater, besonders für den Vergleich zwischen Stadtteiltheatern in den Armenviertel und Stadtteiltheatern in der Stadt. Ich selber habe auch ein Theaterstück über die Zapatisten gemacht, hier sehr ihr eine Figur des Subcomandante Marcos, der hat natürlich auch mitgespielt. Das Stück wurde in Deutschland uraufgeführt. Eine tolle Erfahrung war auch die Zusammenarbeit mit dem mexikanischen Theatermacher Salomón Reyes: Las niñas muertas, die toten Mädchen, diese Stück wurde in Mexico-Stadt uraufgeführt.
Im kommenden Jahr würde ich gerne ein Minitheaterfestival organisieren, gemeinsam mit lateinamerikanischen, spanischen und deutschen Theatermachern: in kleinen Räumen, ein Schauspieler, ein Regisseur, und Stückschreiber. Die Inszenierungen sollen nicht länger als eine Viertelstunde dauern. Das Formal kommt aus Madrid, aus der Szene der Theaterkollektive: das microteatro. Dort werden einmal im Monat diese Formate aufgeführt, meist unten im Keller, oben gibt es dann Tapas zu essen. Ich würde das gerne auch im Sprengelkiez machen, aber erst muss ich die Künstler in Berlin davon überzeugen, dass alles toll ist."